Der Fall Mollath und die bayerischen Behörden

29 September 2013

Der Fall Mollath und die bayerischen Behörden

Der Fall „Mollath“ hat wohl wie kaum ein anderer Justizskandal in den vergangenen Jahren für reichlich Schlagzeilen gesorgt. Angefangen hatte die Episode Mollath mit einem Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER und erst nach vielen Monaten, nachdem sich auch die übrigen Oppositionsparteien im Landtag der Tragweite des Falles bewusst wurden, kam Fahrt in die Sache, die schließlich mit der Freilassung aus der Psychiatrie für Mollath endete. Um allen Interessierten einmal einen Überblick über die Versäumnisse und Fehler der bayerischen Behörden zu geben, haben wir dies einmal zusammen getragen. Viel Spaß beim Lesen!




Marianne J.  / PIXELIO / pixelio.de

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Zusammenfassung: Versäumnisse bayerischer Behörden im Fall Gustl Mollath


Herr Mollath wurde trotz der großen Anzahl an Vorgängen in verschiedensten Behörden und Referaten über zehn Jahre hinweg nie persönlich angehört, obwohl er in unzähligen Schreiben inständig darum bat. Am 11.06.2013 wurde Herr Mollath auf Antrag der Oppositionsfraktionen vom Untersuchungsausschuss angehört. Erstmals hat sich damit eine staatliche Institution ernsthaft mit der Position Herrn Mollaths auseinandergesetzt.


Versäumnisse der Staatsanwaltschaft:




  • Die Staatsanwaltschaft hat trotz konkreter Anhaltspunkte in den Strafanzeigen Herrn Mollaths nicht einmal Vorermittlungen durchgeführt, obwohl ihr das möglich gewesen wäre. Eine ordnungsgemäße Prüfung ist nicht erkennbar. Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihre Pflicht zur Objektivität verstoßen. Während die Anzeigen von Herrn Mollath nicht ernsthaft geprüft wurden, wurden Anzeigen gegen ihn sehr wohl weiterverfolgt und angeklagt. Eine kritische Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen durch die Generalstaatsanwaltschaft oder das Ministerium im Rahmen der Fachaufsicht hat nicht stattgefunden.



  • Die Staatsanwaltschaft hat auch noch im Strafverfahren gegen Herrn Mollath einseitig zu seinen Lasten ermittelt. Die Glaubwürdigkeit seiner damaligen Frau wurde nicht angezweifelt, obwohl bekannt sein hätte müssen, dass sie bereits im Februar 2003 ihre Stelle verloren hatte. Die Staatsanwaltschaft wäre als „Wächterin des Gesetzes“ in allen Verfahrensstadien zur Gerechtigkeit und Objektivität verpflichtet gewesen. Gegen Verfahrensfehler des Gerichts wurde nichts zu Gunsten von Herrn Mollath unternommen. Das ernsthafte Erforschen der Anzeigen von Herrn Mollath hätte aber die Glaubwürdigkeit von seiner damaligen Frau erschüttern können. Staatsanwaltschaften entsprechen ihrer Rolle nur, wenn sie sich allen gesetzeswidrigen Vorgehensweisen verweigern und gegen Urteile, die auf wesentlichen Gesetzesverstößen beruhen, Rechtsmittel einlegen. Dies ist weder im Verfahren vor dem Amtsgericht Nürnberg noch vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth geschehen.



  • Die Staatsanwaltschaft hat 2004 die Anzeige von Herrn Mollath vom Dezember 2003 nicht an das zuständige Finanzamt weitergeleitet, obwohl dies nach § 116 AO angezeigt gewesen wäre. Auch die Verteidigungsschrift mit entscheidenden Unterlagen wurde weder 2004 noch 2012 weitergeleitet und musste erst vom Finanzamt selbst angefordert werden. Die Verteidigungsschrift von Herrn Mollath enthält den klaren Hinweis, dass die HypoVereinsbank ihre interne Revision eingeschaltet hat, trotzdem hat die Staatsanwaltschaft den Revisionsbericht 2003/2004 nicht angefordert. Auch im Rahmen der fachaufsichtlichen Überprüfung durch die Generalstaatsanwaltschaft und das Justizministerium ist das nicht aufgefallen oder es wurde ignoriert.



  • Die Staatsanwaltschaft hat jährlich die Fortdauer der Unterbringung beantragt. Eine kritische Überprüfung dieser Position fand nicht statt. Selbst als die Betreuungsrichterin in Straubing aufgrund des Gutachtens von Herrn Dr. Simmerl dringend eine Überprüfung anregte oder als längst die Fakten bekannt waren, die zu den Wiederaufnahmeanträgen führten, beantragte die Staatsanwaltschaft – mit Zustimmung des Ministeriums – noch die weitere Unterbringung.

  • Bei der Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags hat die Staatsanwaltschaft Regensburg gründlich und objektiv gearbeitet. In den beiden ersten Anträgen vom 18.12.2012 und vom 06.02.2013 wird wegen der zahlreichen Rechts- und Verfahrensverstöße von einer Rechtsbeugung des Richters ausgegangen. Allerdings hat Generalstaatsanwalt Nerlich dafür gesorgt, dass alle Wiederaufnahmegründe, die ein Versagen der Justiz bedeutet hätten, aus dem letztendlich eingereichten Antrag entfernt wurden. Dass sich das Ministerium hier herausgehalten haben will, ist nicht glaubhaft. Es hätte im Interesse des Rechtsstaats und auch einer vernünftigen Fehlerkultur in der Justiz gelegen, die von der Staatsanwaltschaft Regensburg herausgearbeiteten Rechtsbeugungen in den Wiederaufnahmeantrag aufzunehmen.


Lupo  / PIXELIO / pixelio.de

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Versäumnisse der Finanzbehörden:




  • Die Aussage des Richter Brixners gegenüber den Finanzbehörden war neben der Arbeitsüberlastung und der Absicht, wertvolle Ressourcen für „größere Fälle“ zu schonen, ursächlich dafür, dass 2004 keine Ermittlungen erfolgten. Der Stempel „Spinner“ wurde nicht hinterfragt und hat auch 2010 und sogar bis heute dafür gesorgt, dass Herr Mollath nicht ernst genommen wurde.



  • Die Verteidigungsschrift mit entscheidenden Unterlagen (u.a. Buchungsanordnungen, Vermögens- und Anlageverzeichnisse) wurde weder 2003 vom Finanzamt Nürnberg noch 2010 vom Finanzamt Bayreuth angefordert, obwohl Herr Mollath in seiner Anzeige darauf hinwies. Somit blieb unerkannt, dass die HVB die interne Revision eingeschaltet hatte. Der Revisionsbericht enthält jedoch keine neuen Tatsachen, die für die Aufnahme der Ermittlungen in 2003/2004 notwendig gewesen wären. Er enthält aber eine Bestätigung von Herrn Mollaths damaligen Angaben. Er ist heute insoweit relevant, als sich mit ihm die Theorie vom Spinner bzw. Wahn, die die Untätigkeit rechtfertigen sollte, nicht aufrechterhalten lässt.



  • Die Ermittlungen, die 2012 endlich aufgenommen wurden, hätten schon viel früher aufgenommen werden können. Die Anzeige aus 2003 und die Verteidigungsschrift hätten ausgereicht, um Ermittlungen aufzunehmen. Heute steht fest, dass die Angaben von Herrn Mollath weitgehend zutrafen, weswegen nun über zwanzig Verfahren geführt werden und bereits Razzien bei zwei Banken stattfanden. Die Ermittlungen betreffen Steuerpflichtige, welche von Herrn Mollath bereits 2003 benannt worden waren. Diese Tatsache und die Tatsachen, dass einige der Verfahren bereits mit Strafbefehlen abgeschlossen werden konnten und dass es daneben in mindestens zwei Fällen zu strafbefreienden Selbstanzeigen gekommen ist, belegen, dass die Anzeigen von Herrn Mollath eben nicht substanzlos waren. Die Selbstanzeige war allein wegen des Zeitablaufs erforderlich, weil sie bestätigte, dass es noch immer Steuerhinterziehungen aus dem von Herrn Mollath angezeigten Personenkreis gibt; eine Bestätigung, die 2003 nicht nötig gewesen wäre. Die Ermittlungsmöglichkeiten in die Schweiz haben sich seit 2003 nicht verändert. Die Anforderung von Negativattesten, Durchsuchung und Vernehmungen waren schon immer möglich. Noch immer wirkt sich allerdings der Stempel „Spinner“ für Herrn Mollath aus. So wird er auch in den aktuellen Ermittlungen der Steuerfahndung nicht als Zeuge befragt.



  • Die Ausführungen des Präsidenten des Landesamts für Steuern gegenüber dem Landtag in Bezug auf das Telefonat des Richters mit den Finanzbehörden und den hierzu angefertigten Aktenvermerke waren abstrus und entsprachen in mehreren Punkten nicht den Tatsachen. Der Präsident hat auch im Untersuchungsausschuss die Ausübung des Kontrollrechts des Parlaments nicht in geeigneter Weise unterstützt.


Versäumnisse des Justizministeriums:




  • Die fachaufsichtliche Kontrolle im Justizministerium hat doppelt versagt. Mögliche Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung wurden nicht vorgenommen, obwohl das Ministerium schon 2004 alle notwendigen Unterlagen vorliegen hatte. Die Fachaufsicht wurde 2005 sogar komplett verweigert, indem Herr Mollath an die Behörde zurückverwiesen wurde, gegen die sich seine Beschwerde richtete. Für Herrn Mollath wurde Entlastendes schlicht ignoriert und Ermittlungen zu seinen Gunsten wurden nicht vorgenommen.



  • Die Stellungnahme des Ministeriums gegenüber dem Landtag im Rahmen der Eingabe 2004 war unbrauchbar. Ein Hinweis auf den Inhalt der Verteidigungsschrift mit den Schreiben der Bank, den Buchungsanordnungen zu anonymen Konten oder auf Vermögensanlagenverzeichnisse fand sich darin nicht. Aufgrund der unvollständigen und einseitigen Darstellung konnte keine objektive Kontrolle stattfinden, da die Abgeordneten nicht über die Aktenkenntnis des Ministeriums verfügen. Es ist im Übrigen davon auszugehen, dass sich nicht alle Abgeordnete darüber bewusst sind, dass es ihnen möglich ist, die zugrundeliegenden Akten auch einzufordern (Art. 6 Abs. 3 des Bayerischen Petitionsgesetzes). Auch in den folgenden Eingaben an den Landtag kann im Rahmen der Stellungnahme der Ministerien nicht von der Wahrnehmung der Fachaufsicht die Rede sein. Die bisherigen Entscheidungen wurden jeweils unkritisch übernommen.



  • Das Justizministerium wurde seiner Aufsichtspflicht nicht gerecht, weil Herr Braun 2011 von der Staatsanwaltschaft als Zeuge hätte vernommen werden müssen. Ermittlungen fanden überhaupt nicht statt, obwohl die Aussage von Herrn Braun im Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 18.03.2013 als Wiederaufnahmegrund gemäß § 359 Nr. 5 StPO gewertet wurde. Obwohl Herr Braun nicht antragsberechtigt war, wurde schon in der Abgabenachricht des Ministeriums die absurde Umdeutung in einen Wiederaufnahmeantrag vorgenommen. Außerdem wurde der Landtag nicht ausreichend über die Schreiben des Herrn Braun informiert.



  • Obwohl der Fall Mollath seit beinahe einem Jahr auf der politischen Agenda stand und groß darüber in den Medien berichtet wurde, will sich die Ministerin bis November 2012 lediglich auf die Darstellung des wesentlichen Inhalts des 17-seitigen Revisionsberichts und eine eigene Bewertung der Staatsanwaltschaft verlassen haben. Es ist aber davon auszugehen, dass der Revisionsbericht der HypoVereinsbank nicht erst am 09.11.2012 im Ministerium vorlag, sondern schon Anfang 2012. Das ergibt sich aus der Aktenlage. Die Zeugenaussagen sind deshalb als unwahr zu bewerten.



  • Es ist nicht glaubwürdig, dass bei einer historisch einmaligen Weisung zur Beantragung der Wiederaufnahme durch die Staatsanwaltschaft, keine Unterlagen im Ministerium existieren und eine eigene fundierte schriftliche Beurteilung einer Wiederaufnahme nicht vorgenommen wurde. Ebenso wenig ist die Behauptung glaubhaft, wonach man im Ministerium lange nach einem Wiederaufnahmegrund gesucht habe und dass sich das Ministerium in Bezug auf die Wiederaufnahmegründe herausgehalten haben will.


Gabi Eder  / PIXELIO / pixelio.de

Gabi Eder / PIXELIO / pixelio.de



  • Das Krisenmanagement der Ministerin war katastrophal. Sie hat von Anfang an vehement verlautbaren lassen, dass aus ihrer Sicht alles richtig gemacht worden sei. Sie hat Informationen an den Landtag und auch gegenüber der Öffentlichkeit stets einseitig und zulasten Herrn Mollaths dargestellt (vermeintliches Qualitätssiegel BGH, Verteidigungsschrift als abstruses Sammelsurium nicht ursächlich für die Unterbringung etc.). Außerdem hat sie in der Öffentlichkeit, aber auch vor dem Untersuchungsausschuss eine Reihe von juristisch sehr angreifbaren Argumentationen und Halbinformationen präsentiert (zum Anfangsverdacht, Befangenheit nur Revisionsgrund, HVB-Bericht nur Scheinkronzeugensatz etc.). Eine Bereitschaft, die Vorgänge kritisch zu hinterfragen und neue Erkenntnisse zur berücksichtigen, zeigte die Ministerin erst, als Forderungen nach ihrem Rücktritt laut wurden und der Ministerpräsident sich einschaltete. Der Verweis der Ministerin auf die „unabhängigen Gerichte“ und dass ihr eine Bewertung nicht erlaubt sei, wird von ihr nur vorgeschoben. Denn die Ministerin hat von Anfang an sehr wohl persönliche Wertungen vorgenommen und ihre persönliche Meinung zum Fall Mollath vertreten.



 

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