Flächendeckende Gesundheitsversorgung muss das Ziel sein

16 März 2011

Flächendeckende Gesundheitsversorgung muss das Ziel sein

Flächendeckende Gesundheitsversorgung muss das Ziel sein

Die Zukunft der Gesundheitspolitik mit ihren Auswirkungen auf den ländlichen Raum stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion in der Turnhalle von Mittelsinn, zu der der Freie Wähler Landtagsabgeordneter Günther Felbinger (Gemünden) eingeladen hatte. Rund 160 Besucher erfuhren dabei von den Gastrednern auf dem Podium Details über die Folgen der verschiedenen Gesundheitsreformen für Hausärzte und Patientenspeziell auch auf die Situation im Sinngrund und im ganzen Landkreis Main-Spessart bezogen.


Wie Felbinger ausführte sei die Altersentwicklung der Hausärzte im Landkreis Main-Spessart bedenklich. Im Durchschnitt liege diese bei 52,7 Jahren und 27,8 Prozent der niedergelassenen Ärzte seien bereits über 60 Jahre alt. Diese Lücke auszufüllen sei schwer, weil zu wenig Absolventen nachkämen, was später in ihren Ausführungen auch die beiden Ärzte auf dem Podium bestätigten. Das liege vor allem an den schlechten Rahmenbedingungen für Ärzte in Deutschland und auch an fehlenden Lehrstühlen für Allgemeinmedizin in Bayern.


„Die derzeitige Bundesregierung hat kein gesteigertes Interesse am Erhalt der bisherigen flächendeckenden, hausärztlichen und stationären Versorgung“, stellte der Abgeordnete fest. Vielmehr plane man unter dem Gesichtspunkt der Privatisierung des Gesundheitswesens sogenannte medizinische Versorgungszentren (MVZ), die auch für die Bürger im Landkreis Main-Spessart außer dem Rückgang der persönlichen Versorgung zusätzlich weitere Wege bedeuten würden. Die Menschen aus dem Sinngrund müssten dann beispielsweise nach Gemünden fahren, wo wie in Lohr und Karlstadt so ein Zentrum bereits angedacht sei, führte Dr. Matthias Schmidt aus.

Felbinger erläuterte zunächst wie es zur misslichen Situation der Hausärzte in Bayern gekommen ist. Ausgehend von verschiedensten Reformmaßnahmen der Bundesregierung in den vergangenen Jahren, wodurch sich die Rahmenbedingungen für die Hausärzte verschlechterte, habe vor allem der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder(CSU) für eine anstehende Verlängerung der Hausarztverträge den Dialog mit den Verantwortlichen über ein halbes Jahr verweigert, was einerseits zu starken Protesten der Hausärzte führte und darin gipfelte, dass diese ihre Kassenzulassungen zurückgeben wollten. Dadurch stehen die Hausärzte derzeit ohne Anschlussverträge da und haben keinerlei Planungssicherheit. „Es ist noch schlimmer, die Hausärzte müssen derzeit mit einer Pauschale von 45 Euro pro Patient und Quartal auskommen, was für jeden Menschen nachvollziehbar, nicht zu akzeptieren ist. Für einen Elektriker zahle ich pro Stunde 60 Euro!“, so Felbinger.


Die Freien Wähler im Landtag hatten daraufhin Gesundheitsminister Söder schwere Versäumnisse vorgeworfen und auch im Landtag mehrere parlamentarische Initiativen eingebracht. „Wir wollen eine gerechte und transparente Verteilung und Partizipation der Mittel, darauf hat auch jeder Beitragszahler ein Anrecht“, so Felbinger. Allerdings, so der Gemündener Abgeordnete, glaube er, dass dies mit dem bestehenden Gesundheitssystem nicht machbar sei, weswegen die Freien Wähler mit der „Sozialen Gesundheitsversorgung“ auch ein eigenes Konzept vorgelegt haben. „Wir werden weiter für eine flächendeckende stationäre und hausärztliche Versorgung kämpfen“, so Felbinger weiter.


Bei den Strukturen der stationären Versorgung, für die der Landkreis Verantwortung trage, habe der Kreis, so Landrat Thomas Schiebel, die Weichen gegen die Privatisierung gestellt. In Marktheidenfeld laufe es sehr gut, mit Lohr sei man zufrieden, nur im auf Geburtshilfe spezialisierten Karlstadt laufe es derzeit nicht ganz optimal, was auch an der demografischen Entwicklung liege. Statt der erwarteten 300 Geburten waren nur 250 zu verzeichnen. Mit Blick in die Zukunft sagte Schiebel: „Das Klinikum in kommunaler Trägerschaft steht nicht zur Debatte“ – auch wenn es im Gegensatz zu den Vorjahren immer schwieriger werde, schwarze Zahlen zu schreiben.


Landrat Thomas Schiebel, Dr. Christian Pfeiffer, Allgemeinarzt in Giebelstadt und Bezirksvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands, Dr. Matthias Schmidt, Allgemeinarzt aus Burgsinn, und Renate Hartwig, Vorsitzende der Bürgerinitiative Schulterschluss und Autorin des Bestsellers „Der verkaufte Patient“, sahen diese Auswirkungen für Ärzte und Patienten überwiegend negativ. Diese Einschätzung bestätigte auch die anschließende Diskussion mit den potenziellen Patienten im Saal.


Bei einer weiteren Privatisierung des Gesundheitssystem und der Übernahme von Arztpraxen durch Kapitalgesellschaften prophezeit Felbinger: „Der Patient wird zum Goldesel für die Apparatemedizin“. Daher sei es auch für die Einwohner ländlicher Gebiete wichtig, weiter Hausärzte vor Ort zu haben wie Dr. Schmidt in Burgsinn.


Dr. Christian Pfeiffer, der unterfränkische Bezirksvorsitzende des bayerischen Hausärzteverbandes,  sprach unter anderem die Probleme der zunehmenden Bürokratie und der lukrativen Abwerbeangebote aus dem Ausland an. An den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung erinnerte Dr. Matthias Schmidt, der selbstkritisch anmerkte, dass die Hausärzte zwar protestiert, aber die Auswirkungen zu wenig publik gemacht hätten.


Es gehe um „Zockerei“ der Krankenkassenfürsten, die sich selbst großzügig entlohnen und die Entsolidarisierung des Gesundheitswesens, das zunehmend industrialisiert werde. Ein aufgeblähter Verwaltungsapparat bei über 100 Krankenkassen mit 95% identischen Leistungen für jeden Patienten mache keinen Sinn. Der viel gepriesene Wettbewerb zwischen den Kassen sei reine Augenwischerei, der nie stattfinden würde. Allein bei den Bonusheftchen würden sich die Kassen noch unterscheiden.


Dabei mache der Staat mit, er verdiene schließlich an hohen Arzneikosten: „Es gibt kein Land der Welt, in dem auf Medikamente 19 Prozent Steuer erhoben werden wie in Deutschland.“ Bei den Hoteliers habe man dagegen gleich die Steuersätze gesenkt, was ein weiteres Beispiel für die Macht des Lobbyismus in der Politik sei.


Als letzte Podiumsrednerin trat Renate Hartwig ans Mikrophon. Ihre sehr detaillierten und mit praktischen Beispielen belegten Ausführungen wurden immer wieder durch spontanen Beifall unterbrochen. Sie stellte fest, dass das System nicht mehr stimme.



 

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen